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Georgien

Would you like to visit us in Georgia“, so ein Anruf letzten Sommer. „Klar, ich wollte schon immer mal in die USA reisen.“ antwortete ich. Eine kurze Sprechpause, ein langes Ähmm und ein herzlicher Lacher später war klar, dass ich wohl geographisch ein wenig Aufholbedarf habe. Dennoch lassen wir uns dieses Abenteuer an der Grenze zu Russland nicht entgehen.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend und voll freudiger Erwartung fliegen wir nach Tbilisi, der Hauptstadt von Georgien mit mehr als 1,2 Millionen Einwohnern. Im Jahre 1991, noch vor dem Augustputsch und dem Zerfall der Sowjetunion, erklärte Georgien seine Unabhängigkeit. Lediglich über die Gebiete Abchasien und Südossetien, in denen starke russische Militärpräsenz vorherrscht, hat die georgische Regierung auch heute noch keine Kontrolle.

Diese Teilgebiete sind für Touristen immer noch tabu. Unsere Reise führt uns daher weiter östlich in den Tuscheti Nationalpark, an der Grenze zu den bekannten russischen Gebieten Dagostan und Tschetschenien. Auf dem mehr als 83.000 Hektar großen Gebiet herrscht bis auf wenige kleine Dörfer gähnende Leere. Eine schier unendliche Weite, endlose Wanderwege, tausende Schafe und eine beinahe erdrückende Gastfreundlichkeit werden diese Woche noch abwechslungsreicher gestalten, als wir es erwarten.

Wer eine Reise tut …

Bereits die Anreise über Istanbul ist aufregend und geprägt von skurrilen Begegnungen. Die nette Bitte einer Dame, ihr doch den schweren Reisekoffer abzunehmen, können wir ihr nicht abschlagen. Doch bevor Klaus, unser Charmeur, fröhlich pfeifend mit dem fremden Koffer durch die Sicherheitskontrolle spazieren möchte, halten wir ihn an. Auf die Frage, ob es nicht vielleicht leichtsinnig ist, einen fremden Koffer in ein ebenso fremdes Land mitzunehmen entwich ihm kurz die Farbe aus dem Gesicht. Doch auch der freundlichen Dame ist der Fauxpas sichtlich ins Gesicht geschrieben und wohl mehr als peinlich.

Vor unserem geistigen Auge sehen wir Klaus bereits am Boden liegen, mehrere Knie von türkischen Grenzbeamten am Rücken, fröhlich aus dem letzten Loch pfeifend. Auch die Sicherheitskontrolle, welche das Geschehen von Weiten beobachtet, schmunzelt amüsiert vor sich hin. Kurz darauf, beim Boarding zum Weiterflug nach Tbilisi, darf ich die Herren der Security erneut begleiten. Diesmal ein paar Stockwerke tiefer in den Keller. Dort erwarten mich bereits vier weitere Kollegen im selben Gewand, eine Tasse Kaffe in der linken, die Kalaschnikow in der rechten Hand.

Der Metalldetektor, welcher das Check-In Gepäck durchleuchtet, hat bei meinem Koffer angeschlagen. Nachdem ich mir keiner Schuld bewusst bin, zeigen mir die freundlichen Herren das Röntgenbild – eine Ersatzkette meines Bikes, schön säuberlich im Karton zusammengelegt, ist ihnen nicht ganz geheuer. Und aus diesem Blickwinkel, so muss ich gestehen, kann auch ich die vermeintliche Schlange nicht gleich identifizieren. Nachdem ich sie sorgfältig und unter argwöhnischen Blicken aus dem Koffer grabe, bricht ein vorerst leises aber später allzu heftiges Gelächter bei den sonst so grimmigen Beamten aus. Der Abschied mit Schulterklopfer und einem Schluck Schnaps bleibt mir in bester Erinnerung und lässt mich blitzschnell auf meinem Platz im Flugzeug einschlafen.

Hektisches Treiben in Tbilisi

Nach einem langen Tag kommen wir endlich samt Gepäck und Bikes in Georgien an. Die Empfehlung des Innenministeriums, sich auf Taxis und Fahrer zu verlassen und kein eigenes Auto zu mieten, ist uns binnen Minuten klar und verständlich. Das Nord-Süd-Gefälle der Einhaltung von Verkehrsregeln und die umgekehrt proportionale Häufigkeit der Verwendung von Hupen lässt den Wunsch nach einem eigenen fahrbaren Untersatz in windeseile verschwinden. Zum Glück ist dies auch nicht nötig – wir werden von James, einer der Betreiber einer lokalen Agentur namens Mogzauri-Rent, abgeholt und ins Hotel gebracht. Es ist mittlerweile halb eins in der Nacht und wir freuen uns auf ein paar Stunden erholsamen Schlaf.

Abano Pass – eine abenteuerliche Autofahrt

Früh morgens geht es mit geländetauglichen, aus Japan importierten Mitshubishi Delicas, in Richtung Abano Pass. Eine 5-stündige Fahrt auf einer der weltweit gefährlichsten Passstraßen wartet auf uns. Während wir uns nach den ersten Kehren noch in Todesangst wähnen, feuern wir unseren Fahrer nach einer guten Stunde bereits an und freuen uns wie kleine Kinder auf die nächste knifflige Passage. Dualtrail-Action mit Allrad und Ballonreifen. Nur spotten macht hier wenig Sinn. Nach mehreren Bächen die gefurtet werden müssen, Steilrampen und Schlaglöcher die bei uns zuhause nicht mal mehr unter grobe Fahrlässigkeit fallen würden, erreichen wir erschöpft den Abano Pass auf 2.950 m Seehöhe.

Mit brummenden Köpfen vom schnellen Aufstieg und von der langen Reise bereits zuckenden Beinen ist es nun endlich soweit. Aufsitzen, Sattel rein und ab die Post. Über zwei Stunden geht es Singletrails und Bergstraßen in das kaukasische Hinterland nach Dartlo bergab. Das Bergpanorama um uns herum ist beeindruckend und weitläufig. Der Blick auf die über 4.000 m hohen Berge an der Grenze zu Russland lässt Vorfreude aufkommen. Unser Spielplatz für die nächsten fünf Tage. Doch davor kommen wir noch bei einer Rangerstation vorbei – und hier machen wir auch das erste Mal Bekanntschaft mit der georgischen Gastfreundlichkeit. Mit Händen und Füßen verständigt man sich überall auf der Welt und der gemeinsame Nenner ist schnell gefunden – Kaiser Bier. Das kleine Gläschen wird sich allerdings etwas später während den verschwiegenen 200 Höhenmeter Gegenanstieg zur ersten Unterkunft noch rächen.

Khachapuri und andere gesättigte Fettsäuren

Wer nach Georgien reist, sollte einen starken und vor allem unempfindlichen Magen mitbringen. Die Küche ist ausgezeichnet, allerdings meist sehr fett und immer reichlich von Allem. Khachapuri, so heißt das überbackene Käsebrot. Die Einheimischen essen es meistens als kleine Zwischenmahlzeit – uns macht es selbst nach 2.000 Höhenmetern und starken Kalorienmangel bereits als Vorspeise satt. Der klassische Tschatscha, ein lokaler Tresterbrand, ist nach solch üppigen Mahlzeiten Pflicht. Und als Österreicher kennt man die Schnapskultur ja, was soll schon passieren … bei 40 – 70% Alkohol.

Schafe, so weit das Auge reicht

Die Gipfel unserer geplanten Touren sind meist nur mit Schieben oder Tragen des Bikes zu erreichen. Die Infrastruktur der Wanderwege ist bestens ausgebaut – aber eben für Wanderer. Forststraßen wie wir sie in Europa kennen gibt es kaum und wenn, dann werden sie für motorisierte Offroad-Abenteurer genutzt und sind dementsprechend steil und unfahrbar.

Während man auf den Bergstraßen als auch auf den gut ausgebauten Straßen rund um Tbilisi Meister im Auto-Kuhslalom wird, darf man sich auf den Wanderwegen die schmalen Trails mit Schafen teilen. Darüberhinaus auch mit deren Abfallprodukten. Schäferei ist neben dem Tourismus die Haupteinnahmequelle im Tuscheti Nationalpark. Nach einem knackigen Anstieg auf gut 2.600 m erreichen wir eine kleine „Baracke“ am Grat. Von weitem kriecht uns bereits der Duft von Schafen in die Nase. Doch hier gesellt sich auch eine kleine Brise Röstaroma hinzu. Unser Guide Irakli, der wohl etwas besser an die Höhe gewohnt ist, kommt bereits mit vollem Mund auf uns zu und meint „Come in, come in … it’s delicious. Bist du deppat.“. Den hinten angehängten Ausruf freudiger Erregung haben wir ihm sprachwissenschaftlich korrekt erst wenige Stunden zuvor bei-gebracht. Wir hören diesen Satz noch ein paar Mal.

Aber er hat recht – die Hirten haben soeben ein Schaf geschlachtet und bereiten das Fleisch in kleinen Stücken am Spieß über offenem Feuer zu. Dazu gibt’s etwas Brot und schon ist unser Hunger gestillt. Etwas irritiert von den zwei Grenzpatrollien in Militäruniform, flankiert von deren Kalaschnikows, genießen wir die Gastfreundschaft und den obligatorischen Tschatscha danach.

Während wir vom Schaffleisch und dem selbst gebackenen Brot hin und weg sind, können die Hirten und Militärs die Augen nicht von unseren Rädern lassen. Das Glitzern in ihren Augen, als wir ihnen erlauben mal aufzusitzen und den Federweg zu testen erinnert an Weihnachten als wir jung waren.

Ein Paradies für die nächste Folge von Herr der Ringe

Unsere Touren führen uns alltäglich durch kleine und urige Bergdörfer im Tuscheti Nationalpark. Die alten Steinhäuser, fein säuberlich mit Granitplatten aufgeschlichtet, und die Überreste der alten Wehr- und Kommunikationstürme aus längst vergangenen Zeiten erinnern an die Landschaften von Herr der Ringe. Und nicht zu unrecht, denn auf den Türmen wurden früher Feuer entfacht um über weite Strecken vor Feinden zu warnen. Viele davon werden gerade restauriert um sie für Touristen weiter zugänglich zu halten.

Wir genießen in der Zwischenzeit die spektakulären Abfahrten zwischen diesen Türmen und die erstaunten Blicke der Einheimischen. Die Gästehäuser, welche liebevoll gepflegt und betrieben werden, sind meist sehr einfache Bauten. Außen rustikal und ähnlich einem Alpenchalet, innen meist nur ein altes Bett mit Brettern und einer dünnen Matratze. Wir schlafen allerdings stets gut – die Höhe und die anstrengenden Touren lassen die spärlichen Schlafgelegenheiten schnell vergessen sein.

Vor vielen Jahren förderte die georgische Regierung die Errichtung von Solar betriebenen Warmwassertanks und die Gewinnung von Strom aus Sonnenenergie. Viele der Häuser haben nun Elektrizität und warmes Wasser kommt aus den Duschen. Ein großer Schritt für den lokalen Tourismus – und man erkennt den Erfolg an den vielen Investitionen die die Einheimischen tätigen. An jeder Ecke entsteht eine neue Veranda, ein neuer Zubau oder die Dächer werden saniert. Kurzum: Leben in den Bergen.

Enduro Action rund um Tbilisi

Nachdem wir uns endlich an die Höhe gewohnt haben ging’s auch schon wieder zurück in die Hauptstadt Tbilisi. Wieder vorbei an den Rangern, rauf auf den Abano Pass und mehr als 20 km runter ins Tal. Und während wir uns vor einer Woche noch gefragt haben, ob es James ernst sei, hier die „Straße runter zu fahren“, freuen wir uns nun richtig darauf, diesen Bergweg mit nur zwei anstatt vier Rädern in Angriff zu nehmen. Nicht zu vergleichen mit einer langweiligen Forststraße bei uns zuhause. Steile Rampen, große Steine, tiefe Bodenwellen zum Springen und Bäche zum Furten – fast wie im Downhill-Park.

Rund um die Hauptstadt wechseln sich viele gebaute Strecken mit Anliegern und Sprüngen mit naturbelassenen Wanderwegen ab. Und nach einem perfekten Tag am Trail wartet die belebte Altstadt mit zahlreichen Bars und Restaurants. Das Nachtleben ist unglaublich bunt – hier gesellen sich Jung und Alt aus verschiedenen Nationen und Ländern zusammen. Ein Irish Pub neben einer marokkanischen Shisha-Bar, ein amerikanisches Steak-House gegenüber einem klassisch georgischen Restaurant. Doch auch tagsüber hat die Millionenstadt einiges an kulturellen Highlights zu bieten. Die Ruinen der Festung Nariqala aus dem 3. Jahrhundert sowie die hoch über der Stadt thronende Mutter Georgiens, Kartlis Deda, sind nur ein Auszug aus dem Kulturangebot der vielfältigen Metropole.

Für uns ist klar: Wir kommen wieder. Die Trails im Herzen des Nationalparks sind atemberaubend und die herzliche Gastfreundlichkeit der Dorfbewohner machen jetzt bereits Vorfreude auf unser nächstes Abenteuer. Selten wurden wir so offen und ehrlich empfangen wie hier in Georgien.

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