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Madeira Schlammschlacht

Ein Van vollgepackt mit Taschen in denen unsere Mountainbikes sicher verstaut waren (Erwachsenen-Tetris!), ein Van für uns. So machten wir uns nach einer viel zu kurzen Woche wieder auf den Heimweg. Am Weg zum Flughafen Madeira – mitten in den aufkommenden Farewell-Blues hinein – fragte uns unser Guide: “Wie würdet ihr die vergangene Woche in einem Satz beschreiben?“ – „Mud Slide Boot Camp!“ kam prompt retour.

 

Die Trails auf Madeira sind legendär, in Kombination mit den #nichtganzsosonnigen Bedingungen war es das perfekte Traininslager für mich und mein Mountainbike, Madeira hat uns so richtig zusammen geschweißt, könnte man sagen.

 

Der Trip war eine spontane Bauchentscheidung. Rene schickte mir von der Trans Provence eine Nachricht: ‚Lust auf Madeira, Anfang Dezember?’ Eine Google-Bilder-Suche später war die Antwort klar. Ich muss ja gestehen, mein Vorwissen über die Insel war auf Wein und eine Szene aus dem Sissi-Film mit Romy Schneider beschränkt. Dabei ist sie so viel mehr.

Das immergrüne Blumenmeer

Madeira hat noch echte Urwälder, gleich mehrere Mesoklimata und beherbergt auf 740km2 viele endemische Pflanzen und Tierarten. An touristisch starken Tagen kann man zwischen Paradiesvogelblumen und Zuckerrohrstauden an die 50 Mountainbiker beobachten, an den Wochenenden mischen sich noch ein paar einheimische Enduristen darunter. Jedoch ist diese Spezies allgemein trotz der fantastischen Umgebungsbedingungen mit durchschnittlich 0.07 Individuen / km2 eine eher seltene Erscheinung.

Der Norden der Insel ist sehr feucht, die Mitte dominieren Hochgebirge und Moor während der Süden subtropisch warm ist. Ständig hört man Wasser: es gurgelt in den Levadas (offene Bewässerungskanäle), rauscht in Wasserfällen talwärts oder donnert in großen Wellen gegen die Steilküste. In unserem Fall kam dann auch noch die tägliche Dosis von oben dazu. Wir hatten leider das Pech eine völlig unbeständige Woche zu erwischen. Kommt eigentlich so gut wie nie vor, doch die Ausnahme bestätigt bekanntlich die Regel.

Reif für die Insel

Madeira gehört zu Portugal und liegt ca. 1.000 km südwestlich von Lissabon vor Afrika im Atlantik. Sie ist vulkanischen Ursprungs, dementsprechend sind die Hänge steil und der Stein griffig – perfekte Voraussetzungen also für’s Mountainbiken. Da ich meinen neuen Nobelhobel erst kurz vor knapp bekommen hatte, und er fast jungfräulich in den Bikekoffer musste, war ich schon gespannt wie ein Pfitschiepfeil. Über’s Wetter hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Süden = Sonne schien mir ein Naturgesetz. Die Regenshort war nur deshalb in der Tasche, weil ich dazu tendiere, immer alles und von dem noch zu viel einzupacken. Diesmal entpuppte sich das allerdings als Segen.

Auch wenn es in der Hauptstadt Funchal meist sonnig und warm war, kaum saßen wir im Van und schraubten uns die schwindelerregend steilen Straßen nach oben, zog es zu. Ab ca. 800 m fiel der Nebel ein, ein paar Höhenmeter weiter regnete es aus der Wolke, und sobald man über der Waldgrenze war, verkomplettierten Sturmböen die Weltuntergangsstimmung. Meine schmerzliche Erkenntnis: 20°C Durschnittstemperatur für Dezember bezieht sich wohl auf Funchal. Ausschließlich. Denn das Auto verkündete am Berg magere 7°C , Windchill noch nicht eingerechnet. Und ich besitze nur Enduro Handschuhe in eher leichterer Sommerausführung. Kennt ihr das Stechen im Nagelbett, wenn das warme Blut wieder bis in die Fingerspitzen vordringt?

Im Trail-Fieber

Doch wir waren lernfähig: Wir saßen fix und fertig adjustiert im Van: die Woll-Skitourensocken unter die Knieschützer geklemmt, das Unterhemd in die Hose gestrickt, Buff unterm Helm und den Zip der Jacke bis zur Nase zugezogen. Oben angekommen brauchten wir nur aus dem Auto zu springen, das Mountainbike vom Anhänger zu fischen und uns ans Hinterrad von John, unserem Guide, zu heften: „Go, go, go!“ Und schlagartig wurde es wieder warm. Zuerst ums Herz, dann auch im restlichen Körper.

Die Trails fädelten kilometerlang die unterschiedlichsten Passagen aneinanderer. War der eine Singletrack zu Ende, kurbelte man kurz eine Fireroad entlang und tauchte gleich wieder in den Wald in den nächsten ab. Unten angekommen, wartete André alias ‚Best Driver’ mit dem Van auf uns, um uns gleich wieder nach oben zu befördern.

Anspruchsvoll, abwechslungsreich, technisch und auch schnell. Geschaufelter Gap neben natürlichem Rock Garden, flowige Hochebene neben ausgesetztem alpinen Steig. Eh man sich versieht, steckt man wieder im tiefsten dunklen Wald und rollt über Rindenstücke von Eukalyptus-Bäumen, die wie ein Teppich den Weg bedecken. Der kleinste Farn der Welt gedeiht neben haushohen Monstern der selben Gattung, Lorbeerbäume sind mystisch mit Flechten und Moos verhangen und die Thujen hätte ich – einmal nicht als Hecke zurechtgestutzt – fast nicht erkannt. Weiter im Süden gesellten sich dann noch Gummibaum, Philodendron, Bananenstaude, … in das für mich surrealistische Bild.

Handarbeit und Herzblut

John und seine Crew von Freeride Madeira sind stolz auf die Natürlichkeit der Trails. Wo es nötig ist, greifen sie selbst zur Schaufel und bauen bzw. hegen und pflegen ihren Spielplatz. Nicht selten kam es vor, dass wir nichts ahnend vor einem Busch standen, unser Guide den Ast zur Seite bog und voilá: Drop in zum nächsten Gusto-Stückerl. Dass dabei vieles schlechtwetterbedingt wirklich nass, schlammig und rutschig war, störte uns mit der Zeit immer weniger.

Man lernt mit den widrigsten Bedingungen umzugehen und merkt erst da so richtig, was eigentlich noch alles im Rahmen des Möglichen ist. Der Wind war manchmal so stark, dass er mich bis zu 20cm versetzte, was sehr unpraktisch ist, wenn man gerade eine 10cm breite Line anvisiert. Nicht den optimalen Matschreifen am Vorderrad? Vorlehnen, in den Dreck drücken und weiter geht’s. Irgendwann kam sowieso der Punkt wo jedes Profil mit seinem Latein am Ende war und die Kurve, in der jeder geradeaus rauschte. Wenn der rettende Busch dann kein Stechginster war: nochmal Glück gehabt! Der Name ist nämlich Programm, diese Pflanze umarmt man nicht freiwillig. Ebenso sollte man ihre Anwesenheit am Rand des Trails in die Linienwahl mit einbeziehen, wenn man sich komplett zerschundene Unterschenkel ersparen will.

Worauf es ankommt

Nach getaner Arbeit wurden die Bikes täglich liebevoll geschrubbt und gefettet. Wenn die eigene ‚Panier’ besonders schlimm war, durften Jacke und Short bei mir gleich mit unter die Dusche. Wieder salonfähig, kosteten wir uns dann durch John’s Restaurant – Empfehlungen. Im Grunde war unser Leben auf’s Wesentliche beschränkt: epische Trails, richtig gutes Essen, Schlaf. Gibt’s Schöneres?

Am letzten Tag erwischte uns Starkregen und Graupelschauer und wir waren bis auf die Haut durchnässt. Wieder unten, entschieden wir uns abzubrechen. John fuhr mit uns statt dessen an die Süd-West-Küste zum Chillen, Sonne tanken, Seele baumeln lassen, abendessen. Das hat dieser intensiven Woche einen würdigen und runden Abschluss beschert.

Auf die Gegenfrage an John nach seinem High-Light Moment der vergangenen Tage kam überraschend: Gemeinsam essen zu gehen und dabei nur happy faces zu sehen.

Da sind sich auf Madeira statt Guide und Touri-Gruppe wohl eher Menschen auf selber Wellenlänge begegnet. Es war mir ein Fest.

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