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Sehr schottisch

Komfortzonen stinken

Jeder kennt sie, die ewige Frage … Wohin soll es auf Bike-Urlaub gehen. Luxusproblem? Mag sein. Aber wie schon Neo so schön zu sagen pflegte: „Entscheidung. Das Problem ist die Entscheidung“. Ich grüble. „Hmmm, vielleicht im Sommer nach Italien. Wieder mal nach Finale wär’ fein. Sonne, fette Trails, Pizza, Vino, Amore … Klingt fein. Ja, das ist es. Mein Telefon klingelt. Klaus ist dran.

Er so: „Hannes, ich will nach Schottland Trails auskundschaften und Du kommst mit.“
Ich so: „Du spinnst doch.“
Er so: „Toughen up, princess.“
Ich so: „Aber ich will doch nur …“
Er so: „Keine Widerrede.“
Ich so: „Pfui.“

Ich lege angewidert auf. Was war das denn? Nach Schottland? Der spinnt doch. Da gibt’s doch nur Regen, Rinder und Haggis. Ich will’s doch nur schön haben. Und plötzlich – ein Moment der Mikro-Erleuchtung: Oh Gott, die Komfortzone hat mich. Wie konnte das denn passieren? Hinterhältig hat sie sich in Form meiner senfgelben Couch an mich herangepirscht und ihre kuschelig weichen Fangzähne in mein Rückenfleisch versenkt. Ich, ein Schönwetter-Biker? Das kann so nicht weitergehen. Ich brauche eine Dosis Abenteuer, vermischt mit etwas Unannehmlichkeit und Ungewissheit. Ich zücke mein Handy und schreibe Klaus: „I’m in.“

Lektion 1: Don’t trust the weather

Ein paar Wochen später: Klaus und ich überqueren die Englisch-Schottische Grenze. Nach einem fetten 2-tägigen Road-Trip sind wir endlich angekommen. Wir steigen aus. Es regnet und das Thermometer bewegt sich im einstelligen Plus-Bereich. Es ist Juni, wohlgemerkt. Ich ziehe alles an, was die wasserdichten Plastikkisten, in denen wir unser Zeug schlauerweise verstaut haben, hergeben. Klaus quittiert das Wetter mit einem „Sehr schottisch“.

Wir fahren weiter. Erster Stop: Das berühmte Tweed Valley. Naja, wir kannten es bis zu unseren Reise-Recherchen nicht, aber das will ja nicht unbedingt was heißen. Und weil wir schon beim Thema „Recherche“ sind: Bei der Planung unserer Anreise hatten wir wohl übersehen, dass genau einen Tag vor unserer Ankunft das größte Bike-Festival auf der Insel – das Tweed Love Festival – zu Ende gegangen war. Da gibt’s wohl noch Verbesserungs-Potenzial. Macht ja nichts. Hauptsache wir sind da, haben genug (wasserdichte) Kleidung, Bier und Kohlenhydrate am Start.

Überrascht sind wir, als wir am darauffolgenden Tag unsere erste Tour starten. Sonne? Das Wetter ist ja gar nicht so übel, wie immer alle sagen. Rückwirkend betrachtet war ich zu diesem Zeitpunkt wohl etwas naiv denn ca. drei Stunden später schieben Klaus und ich unsere Bikes einen steilen Hügel hoch. Glücklicherweise hilft uns der von hinten kommende, orkanartige Wind enorm dabei. Das Glück weicht jedoch relativ rasch dem Unbehagen. Es beginnt zu Regnen und obwohl uns der Wind noch immer beim Absolvieren der hartnäckigen Höhenmeter unterstützt, tut er dies nun mit einer deutlich feuchteren Handschrift. Nach einer rutschigen Abfahrt sind wir heilfroh, wieder zurück bei unserem Auto zu sein. Regen und Wind haben sich gelegt und wir genießen unser wohlverdientes Mittagessen im Freien. „War hart aber fühlt sich gut an“, sage ich. „Sehr schottisch“, antwortet Klaus.

Lektion 2: Listen to the locals

Fort William ist wohl jedem eingefleischten Biker ein Begriff. Alljährlich versammelt sich hier der Weltcup-Zirkus und die schnellsten Männer und Frauen auf Stollenreifen prügeln ihre Downhill-Boliden in Richtung äh, nach unten halt. Umso verwunderlicher ist die gespenstische Ruhe, die wir bei unserer Ankunft am Parkplatz vorfinden. Wo sind denn alle? Nur japanische Touristen? Are you kidding us? Etwas verwirrt statten wir dem Bikeshop an der Talstation einen Besuch ab, um uns über die Strecken zu informieren. „There is a lot of wind so keep your tires on the ground“, rät uns der jüngere der beiden Mechaniker, die im Shop arbeiten. „And wear a full face!“ Jaja, alles klar. Schnell sind die Ratschläge abgetan, die Gondel ist bestiegen und ehe wir uns versehen, finden wir uns an der Bergstation wieder. Immer wieder streifen uns verwunderte Blicke von Touristen, welche sich auch auf der Downhill-Strecke und dem „Red giant“, der eine etwas leichtere Alternative zum doppel-schwarzen Monster daneben darstellt, zu Fuß herumtreiben. Schräge Stimmung, fast wie in einer alten Western-Stadt, in der von der Sonne benommen Hunde herumstreunen.

Wir fahren los. Der schmale Boardwalk bietet wenig Platz für Fantasie und der Wind droht uns von der Seite in den Abgrund zu stürzen. Immer wieder wechseln verblockte, steile Passagen mit engen Anlegern und von Meter zu Meter gewinnen wir mehr Vertrauen in Untergrund, Bike und Körper. Flow stellt sich ein. Bis wir die „Windy Corner“ erreichen. Ich erblicke in einigen Metern Entfernung einen kleinen Absatz, trete kurz in die Pedale und ziehe ab. Der Wind packt mich und ich komme gerade Mal so wieder „rubber side down“ am Boden an. Schnell werfe ich mein Bike zur Seite, drehe mich um und will Klaus warnen. Aber zu spät. Er zieht ab und just in diesem Moment zieht ihm eine fette Böe Bike und Beine weg. Quer zum Boden segelt er durch die Luft und zielt einen fetten Felsen an, den er auch erfolgreich trifft. Er bleibt mit dem Gesicht nach unten liegen. Ich nähere mich ihm langsam von hinten und Male mir Bilder von Gesichtsrekonstruktionen und ausgeschlagenen Zähnen aus. Klaus dreht sich um. Alle Zähne sind wo sie sein sollen. Nur sein roter Bart schein sich zu verflüssigen. Dunkelrot tropft es auf den weißen Stein. Der Typ an der Talstation hatte wohl recht …

Lektion 3: Skye is our limit

Skye ist wohl spätestens nach Danny Macaskill’s „The Ridge“ jeder Bikerin und jedem Biker ein Begriff. Die majestätische Insel in den Inneren Hebriden weiß zu begeistern – auf vielen Ebenen. Zahlreiche Whisky-Destillerien, Fisch-Lokale und nicht zu letzt die wilde Naturkulisse sprechen für sich. Naja, theoretisch jedenfalls. Bei unserer Ankunft ist von Landschaft nämlich nicht viel zu sehen. Dicke Regenwolken rollen über die Hügel und Wiesen und der Wind kommt mit Mach 3 aus allen Richtungen. Da heißt es wohl „abwarten und Tee trinken“. Am nächsten Tag hat sich das Wetter beruhigt und wir starten los. Am Programm stehen 15 km und 200 Höhenmeter – easy peasy. Denkste. Der Trail entpuppt sich als Trial-Herausforderung und nachdem sich alle unsere Schläuche verabschiedet und das mitgebrachte Flickzeug als unbrauchbar herausgestellt hat, steht Klaus mit einem Platten da.

Also mache ich mich alleine auf den Weg zurück zum Ausgangspunkt der Tour und unserem Auto. Doch der gewählte „Trail“ entpuppt sich als eine Art Moor. Ich wate also durch knietiefen Schlamm, das Bike geschultert und denke an Italien. Der Tiefpunkt der Stimmung und Höhepunkt der Anstrengung ist für mich erreicht. Es beginnt zu regnen – haha. Irgendwann später komme ich dann doch noch beim Auto an, vertilge gefühlte drei kg Bananen, schütte eine Galone Kokosnusswasser in mich hinein und mache mich auf den Weg zu Klaus. Als ich ihn eine halbe Stunde später am Straßenrand stehend erblicke, sieht er desillusioniert aus. Es hatte drei Stunden von unserer Trennung bis zu unserem Wiedersehen gedauert. Drei Stunden im Regen. Drei Stunden ohne Handy-Empfang. Drei Stunden umringt von Schafen im tiefsten schottischen nirgendwo. Wir sprechen kaum. Erst am Abend, als wir uns in Torridon einen Hirsch-Burger und ein Bier einverleiben, löst sich die Stimmung. „Sehr schottisch“, sagt Klaus und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Lektion 4: Schottland hat ein Happy End

Schottland ist rau und wild. Das Wetter ist eine Katastrophe und die Stechmücken im Sommer eine Plage. Warum sollte man also dort hin wollen? Weil Schottland atemberaubend schön ist. Allerdings handelt es sich dabei um eine Art von Schönheit, die sich dem flüchtigen Blick entzieht und erst bei genauerem Hinsehen ihre ganze Pracht zeigt. Die Berge in den Highlands sind wie aus dem Bilderbuch, das saftige Grün der Landstriche beeindruckend. Das Essen ist entgegen der landläufigen Meinung großartig – allein die Fischgerichte, die man auf Skye serviert bekommt, sind eine Reise wert. Die Schotten selbst – vor allem durch ihre derbe Ausdrucksweise sehr grob wirkend – sind bei näherem Kennenlernen herzlich, offen und extrem hilfsbereit.

Nicht nur einmal hat sich ein Mitarbeiter eines Bikeshops für uns viel Zeit genommen, um mit uns Routen-Optionen durchzugehen und vor Ort Touren zu planen. Die Infrastruktur für Biker ist ein Hammer und man merkt, dass die schottische Regierung viel Zeit, Mittel und Energie dafür aufwendet, Schottland als DIE Bike-Destination in Europa zu etablieren. Fast überall darf man sich frei mit verschiedensten Fortbewegungsmitteln bewegen, solange sie nicht motorisiert sind. „Freedom to roam“ nennen die Schotten stolz diese Recht, dass sie sich hart erkämpft haben – da kannst du dir eine Scheibe davon abschneiden, liebes Österreich. Trail-technisch findet man in Schottland alles von hochalpinen Touren in Aviemore und Torridon bis hin zu Märchenwald-Matsch-Rutschen in Innerleithen.

Vieles spricht also für dieses sagenhafte Land. Wenn euch also die Komfortzone fest im Würgegriff hat, dann packt euer Bike und eure beste Regenmontur ein, sagt eurer Couch und den Kartoffel-Chips Lebewohl und begrüßt das grüne Land am nördlichen Ende der Insel.

Text & Fotos: Hannes Abel / Klaus Fürnschuss

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