Trans-Provence, graue Erde

Schafalarm in der Provence

Ich begann bereits früh mit meinen Vorbereitungen – am allerwichtigsten dabei: die Ernährungsumstellung auf die Frankreich Diät BBR … von früh bis spät Brie, Baguette und Rotwein. Nur so dachte ich, sei ich für die Trans-Provence ausreichend gerüstet. Ein Großteil meiner aufgestauten Energien war allerdings bereits nach der 12-stündigen Anreise wieder verflogen. Hinzu gesellten sich müde Beine und Kreuzschmerzen die ich der langen Autofahrt zu verdanken hatte. Doch meine Leiden waren bei An- und Ausblick unserer ersten Unterkunft schnell vergessen. Leicht erhöhte Hanglage, Exposition Südwest, ein wolkenloser, warmer Herbsttag dessen letzten Sonnenstrahlen das alte steinerne Gemäuer in magischen Glanz hüllten. Irgendwie war’s schon fast kitschig. Eigentlich sogar richtig kitschig.

Die weiße Bestie

Das Abendessen war originell, exquisit, französisch: Brie, Baguette und Rotwein. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert. Das Frühstück am nächsten Morgen brachte, wie soll es auch anders sein, kaum Neues auf den Speiseplan. Lediglich den Rotwein konnte ich nicht finden. 

Bei etwas Hochnebel, Sonnenschein und den Farben eines perfekten Indian Summers starteten wir mit Spannung und Vorfreude in unsere Durchquerung der Seealpen. Die Stimmung war ausgelassen und ungetrübt … Oder vielleicht doch nicht ganz? Die kleine Gute-Nacht-Geschichte des Vorabends, über die “Weiße Bestie der Provence”, hatte sich in unser Kleinhirn gebrannt … 

Eigentlich nur als kurze Info gedacht, wurde der Mythos des französischen Hütehundes geboren: Diese bewachen im Sommer autarke Schafherden und verteidigen sie gegen natürliche Feinde wie Wanderer, Mountainbiker und Wölfe. Die Hunde sind dementsprechend groß und kräftig und können einem Gerücht(?) zufolge letzterem mit links das Genick abbeißen. Na bumm, schöne Aussichten für die kommenden Tage. Nicht, dass ich mir Sorgen um mein Genick gemacht hätte, aber wer weiß was so ein Hund mit meinem Bike anstellen würde?

Hinter jeder Kurve oder Querung lauschten wir gespitzt nach Schafglocken, um den gut getarnten Monstern nicht in die Arme sprich vor die Fänge zu laufen. Zusätzlich waren auf den Hochebenen Schilder im Comic-Stil mit gut gemeinten Verhaltensregeln angebracht. Aber selbst diese konnten kaum jemand gänzlich beruhigen. 

Tarn-Gelände

Die Provence und die Seealpen sind ein sehr abwechslungsreiches Gebiet, Farben und Formen der Landschaft änderten sich für uns im Tagesrhythmus. Sogar die Erde wechselte ihre Tönung, vom altbekannten braun zu schwarz bis hin zu knallroten Farben. Die bunt durchgemischten Bike-Klamotten waren von nun an nicht nur zum Aufpeppen der Fotos da, sondern wurden auch zur Tarnkleidung (vor der Bestie).

Doch bei Fahrspaß ohne Ende, war die Angst vor den weißen Riesen dann doch schnell wieder vergessen. Und als uns ein Wirt in der Taverne einmal mitteilte, dass die Schafe um diese Jahreszeit sowieso bereits im Tal seien, war dieses Thema mit einem allgemeinen Seufzer der Erleichterung erledigt.

Jeden Tag brachen wir zeitig auf. Immerhin legten wir täglich knapp 1.800 Hm bergauf und ein Vielfaches bergab zurück und um diese Jahreszeit sind die Tage nicht mehr die längsten. Unsere Route deckte sich großteils mit der des Mavic Trans-Provence Enduro-Rennens. An manchen Stellen konnte man die Wegführung noch erkennen, doch die meiste Zeit hatten wir eher das Gefühl, die ersten Biker in der Region zu sein, ja vielleicht sogar die ersten Biker in Frankreich.

Nein, die ersten Biker überhaupt, die allerersten! Wir waren die Herrscher unserer Welt und surften von Sonnenauf- bis Untergang die Trails ohne auch nur einen Höhenmeter sinnlos auf Asphalt zu vergeuden. Und neben dem Endorphin-Rausch regte sich in uns auch noch ein klein Wenig die Vernunft: Die Tatsache, dass hier vor wenigen Wochen mehr als 70 Biker im Renntempo an Schafherden vorbei rasten und nirgends entlang der Strecke halb-verdaute Rennfahrer-Kadaver herumlagen, ließ auch die hartnäckigste Hütehunde-Phobie nun endgültig in den Hintergrund rücken … 

Schaf-Alarm

Wir hatten gut die Hälfte der Reise hinter uns und befanden uns gerade auf einer Hochebene auf ca. 1.900 m Seehöhe. Als wir mit Mach 3 um die nächste Ecke bogen waren sie plötzlich da, die Glocken des Schreckens, oder zumindest die der Schafe … Wie versteinert blieben alle stehen und nahmen die dunklen Sonnenbrillen ab um die als Schaf getarnten weißen Bestien zu erspähen. Und da waren sie, mitten in der Herde. Ein Umweg musste gefunden werden, um den Hunden nicht als Vor-, Haupt- und Nachspeise gleichzeitig zu dienen. Und weil die Schafe offenbar auch die Wanderwege dem unwegsamen Geländes links und rechts davon vorziehen, wurde unser Umweg richtig lang, richtig anstrengend und richtig abenteuerlich. Hätten wir eine Jungfrau zur Hand gehabt, die sich hätte opfern lassen, wer weiß… 

Gerade als wir die letzten Schritte wieder Richtung Weg machen wollten entdeckten wir ihn – den König der Hütehunde. Größer als alle anderen, mächtiger als wir es uns vorgestellt hatten … Da lag er, mitten auf dem Weg und beobachtete seine Schäfchen aus guter Distanz. Unser letztes Stündlein schien geschlagen. Langsam schlichen wir uns weiter. Ob er uns wohl schon bemerkt hat? Was für eine Frage – der hatte unseren Angstschweiß wahrscheinlich schon vor 30 Minuten gewittert. Als wir mit dem Maximalpuls der ganzen Woche endlich an ihm vorbei waren, hatte er sich noch immer keinen Meter von der Stelle bewegt – und außer einem müden Blick mit verschlafenen Augen widmete er uns keinen Moment seines Daseins. Es schien fast so, als könnte man den knuddeligen und wuscheligen Wachhund zu einer Runde Bauch-Streicheln überreden. Das war er, der Schrecken der Provence … 

Das letzte Stündlein schlug dann aber doch noch, und zwar für eine traumhafte Tour. Mit dem Bike ging’s bis runter an die Cote d’Azur … bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein rollten wir mit Meerblick und Triumphzug-Feeling die letzten Meter Wanderweg bis an die Küste runter. Ein Bad im noch warmen Mittelmeer, Brie, Baguette, Rotwein – wir brauchen ja nicht viel um glücklich zu sein. Und auch wenn das Wort Heimreise immer mit Wehmut verbunden ist – zu neuen Abenteuern aufbrechen kann man bekanntlich nur, wenn man vorher wieder nach Hause fährt.

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