Fahrt ihr dieses Jahr auf Urlaub?
Ja, wir fliegen bald nach Portugal.
Zum Surfen?
Nein, zum Mountainbiken.
Wie, wo, was??
Wenn man an Portugal denkt, dann hat man für gewöhnlich nicht gleich eine klassische Bike-Destination vor Augen, wie beispielweise bei Madeira. Aber wie wir nach dieser Woche erfahren sollten: Vorurteile und Klischeedenken sind bei einer Reise von Bikefex Fehl am Platz. Denn der Surfspot wird sich noch als Sehnsuchts-Destination für uns Enduro-Biker entpuppen und unsere bewährten Hometrails alt aussehen lassen.
Aber nun von vorne
Nachdem wir mit unseren Bikekoffern in Lissabon gelandet sind; wir sind sechs Bikefreunde aus Graz inklusive unserem Guide Renè von Bikefex, treffen wir auf unsere zwei neuen Tiroler Bike-Buddies Sarah & David. Die erste Hürde: Motorschaden unseres Begleitfahrzeugs. Das fängt ja schon mal gut an. Aber es wäre wohl keine professionell organisierte Bike-Reise, wenn nicht gleich für Abhilfe gesorgt werden würde.
Kurzerhand kommen – mitten in der Nacht – zwei unserer Local-Guides mit ihren Privat-Autos und großem Radanhänger um uns abzuholen. Das nenne ich mal „Liebe zum Beruf“ oder doch „zur Berufung“? Denn hauptberuflich sind die beiden Opernsänger und Architekt. Und auf jeden Fall extrem engagierte Local-Guides zur Unterstützung unserer Bikefex-Reise. Sie bringen uns mitten in der Nacht zu unserer Unterkunft.
Da wo Windmühlen stehen …
Ein Windmühlendorf. Ganz für uns allein. Direkt an der Steilküste. Ein bisschen ausgesetzt. Verträumt. Mit Blick über den ganzen Atlantik. Und nur einen Steinwurf vom westlichsten Punkt Europas und dem Leuchtturm entfernt. Portugal Klischee par excellence würde ich sagen. Kitschig schön, mit viel Liebe zum Detail meint Alex, meine Freundin und Schmuckdesignerin aus Graz, die mit Freund Pippo gleich in die stillgelegte Windmühle einzieht.
Am nächsten Morgen kommt die Erkenntnis: Eine Windmühle steht meist dort wo auch viel Wind weht. Und so bläst uns am ersten Morgen der Atlantik-Wind und mit ihm das Portugal-Klischee so kräftig um die Ohren, dass ich kurzerhand Haube und Wind-Jacke auspacke.
Tiefgrüne Wälder & saftige Trails
Aufgrund des Motorschadens kurbeln wir am ersten Tag – direkt von unserer Unterkunft aus – die umliegenden Berge des Sintra Nationalparks hoch. Direkt hinter unserem Windmühlendorf, nur ein paar Kilometer hinter der schroffen Küstenlinie, verbirgt sich ein Eldorado aus tiefgrünen Wäldern. Dicht an dicht reihen sich die Bäume. Der starke Wind von vorhin? Hier drinnen keine Spur davon. Wir queren die ersten Wege und Joao erklärt uns die Besonderheiten, Tücken und Raffinessen der unzähligen Trails die ihren Weg von oben in alle Himmelsrichtungen nach unten finden.
Wir sind noch nicht mal eine Stunde am Bike und die Jungs fachsimpeln schon über Linien-Wahlmöglichkeiten. Alex, Sarah und ich suchen uns für den Anfang eine „chicken-line“. Nun sind wir definitiv „angekommen“ und ganz in unserem Element. Nach dem zweiten, dritten Trail wächst das Vertrauen ins neue Terrain und wir shredden dichte Lorbeerwälder, griffig saftige Trails und queren zum Abschluss unzählige wildromantische Holzbrücken. Am nächsten Tag geht es dann bereits mit Shuttle-Unterstützung noch viel öfter rauf und runter.
Essen für Biker
Den ganzen Tag biken macht bekanntlich auch ganz schön hungrig. Und zu meiner großen Freude kehren wir mittags in authentische kleine „refugios de ciclista“ ein. Denn wenn man schon in Portugal ist will man natürlich auch die kulinarische Seite Portugals kennen lernen. Also ich zumindest. Und ans Meer gehen! Also doch ein wenig klischeehaft unterwegs… Nun ja. Auch unsere gemeinsamen kulinarischen Ausflüge am Abend, die René organisiert, sind immer besonders intensive Gaumenfreuden.
Oktopus, Steak oder doch lieber Fisch? Wein muss auf jeden Fall auf unseren Tisch! Die feuchtfröhliche Gelassenheit der österreichischen Esskultur stößt sich jedoch ein wenig mit der Portugiesischen. Wir lachen zu viel. Essen zu laut. Und außerdem und überhaupt … Psssst … kommt es da vom Nachbartisch. Und beim Fado-Abend waren wir kurz vorm Rausschmiss …
Ihr wollt also ans Meer? Oooohhhh ja!
Und schon geht’s los: Raus aus dem Wald, über massive Felsnadeln, vorbei an Obelix-Felsen und Panorama-Aussichten bis an Sintras Küste. Der Abschluss-Trail des Tages lässt uns von nun an jeden Tag unsere Bikespuren bis ans Meer ziehen, verspricht der Opernsänger. Dort unten wo ihr den Strand sehen könnt werden wir zum Sonnenuntergang unser Bier trinken. Na das ist mal eine Ansage! Wir genießen jede Kehre, die tiefstehende Sonne, (achja: und die ganze Woche keinen Wind mehr) und bleiben öfters stehen als gewollt. Denn die Fotomotive reihen sich aneinander wie die Kieselsteine am Strand, an dem wir gleich unser kaltes Bier serviert bekommen.
So gefällt uns der Bike-Urlaub. Mein Freund Hannes ist ganz aus dem Häuschen und schlägt bei Sonnenuntergang Saltos am Strand. Da müssen Klaus und Pippo gleich mitmachen. Und schon bewegen sich unsere drei harten Bike-Kerle grazil und oberkörperfrei in Pirouetten und Saltos über den Sandstrand.
Mein neues Paradies
Vom Sandstrandfieber gepackt und von Sattelschmerzen geplagt, beschließen Alex, Pippo, Hannes und ich an unserem freien Vormittag die Bikes ruhen zu lassen und unserem Hausstrand, zweihundert Meter unter den Klippen, einen Besuch abzustatten. Praia da Ursa. Mein neues Paradies. Kaum zu glauben und Gott sei Dank, verschlägt es die Menschenmassen, die täglich mit den Touristenbussen an den westlichsten Punkt Europas gekarrt werden, nicht nach Praia da Ursa.
Zu groß und zu anstrengend sind die Strapazen, die die Flipflop-tragenden Touristen mit ihren Selfie-Sticks die Steilküste hinunter ertragen müssten. Unser Glück. Und genau die richtige „Strapaze“ für unseren freien Vormittag! Herrliche Wege, mal ganz steil und oben wieder flach, schlängeln sich die Steilküste entlang und finden hinter so mancher Klippe den Weg nach unten.
HALT! Wer fährt denn da drüben mit den Bikes entlang? Auf halben Weg in Richtung Meeresspiegel erhaschen wir Klaus und René auf der gegenüberliegenden Klippe. Sie shredden die Küstenwege die heute unsere Wanderwege sind. Unten angekommen präsentiert sich uns ein kilometerlanger Sandstrand zwischen steil abfallenden Wänden und mit Felsnadeln die schroff aus dem rauen Meer hervor stechen. Menschenleer. Mystisch. Portugiesisch. Ich will sofort auf die Felsvorsprünge klettern die ins Meer hinaus ragen. Bin wieder Kind und tue es. Einfach nur da sitzen, ins Meer hinaus schauen und an nichts denken. Alex, auch verliebt ins tiefblaue Meer, genießt wie ich die willkommene Abwechslung. Aber das soll es für heute noch nicht gewesen sein.
Ein Nightride in Lissabon
Lissabon muss man sich erlaufen, heißt es. Wir brechen mit der Regel und hauen uns auf unsere Bikes, denn René hat eine andere Vorstellung von Sightseeing und hat einen Nightride in unser Bike-Programm eingebaut. Mittags brechen wir also mit unserem Begleitfahrzeug in den Stadtteil Belém auf. Kurz darauf sitzen wir auf unseren Bikes und cruisen vorbei am Hieronymitenkloster, ein ziemlich prunkvolles Teil, genauer gesagt ein beachtliches Bauwerk mit strahlend-weißer Kalksteinfassade die in einer portugiesischen Variante der Spät-Gotik gehalten ist und auch einige Elemente der Renaissance und so ziemlich alle Sarkophage der ehemaligen portugiesischen Könige enthält. Also nicht die Fassade, sondern das Kloster …
Mit einem Architekten durch Lissabon biken bringt eindeutige Erkenntnisgewinne mit sich. Das gefällt mir. Aber bevor die Sightseeing-Tour weiter geht wollen wir uns noch ein wenig auspowern. Also auf nach Monsanto. Eine bewaldete Parkanlage, auch Lunge Lissabons genannt, im Herzen der Stadt. Sie beglückt uns mit flowigen aber auch schweißtreibenden Trails. Wir heizen die Stadtpark-Trails rauf und runter und fragen uns vermehrt, warum wir unsere stadtnahen Hometrails so toll finden. Monsanto kann definitiv mithalten und befindet sich mitten in der Stadt. Vom Sintra-Bike-Himmel in nur 30 Minuten Entfernung brauch ich jetzt gar nicht erst anzufangen, sonst flieg ich nicht mehr heim.
Eine Abfahrt ohne Wahl
Zurück in der Altstadt rollen wir über die spiegelglatten Pflastersteine und durch mittelalterlich-enge Gassen. Erstaunte und belustigende Blicke kreuzen unseren Weg und wir kreuzen die Wege der gelben Standseilbahn. Auch wir wollen die steilen Gässchen hoch. Denn die Aussicht von oben ist bekannterweise am schönsten. Auf zum nächsten „Miradouro“. Die Aussichtspunkte zählen nämlich zu den schönsten Plätzen der Stadt und geben weite Blicke über die Altstadt und den Tejo mit seinen Brücken frei.
Und all das inklusive beginnender Sonnenuntergangs-Stimmung. Perfektes Timing. Fast schon erwarten wir unser Bier. Wir sind halt Gewohnheitstiere. Aber heute steht noch eine Abfahrt an. Eine kultig-romantische. Eine ohne Linien-Wahlmöglichkeiten. Eine die ich nie mehr vergessen werde. Denn bei dieser Abfahrt geht es einfach nur hinunter. Über Stiegen und Treppen. Große, Kleine, Lange, Schmale… Endlose. Das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich bereits auf den glatten Stufen. Wir überrollen sie. Eine nach der anderen. Tuck Tuck Tuck… Ja, Lissabon gehört eindeutig „erfahren“ und nicht erlaufen. Bei einer Kirche machen wir halt und kehren in ein Fado-Lokal ein. Punkt. Mit dem beginnenden Nachtleben rollen wir am Pier zum Ausgangspunkt zurück und beenden den Tag mit dem besten „Pasteís de Nata“, dass ich je gegessen habe.
Wenn Surfer auf Biker treffen
Es liegen noch zwei feine Tage Enduro-Spaß in Sintra vor uns. Die Jungs sind bereits so aufeinander eingefahren, dass sie sich die Trails und Sprünge in nur wenigen Metern Abstand hintereinander geben. Ich kann da nur staunen und bin froh, dass mir René nach meinen Stürzen die nötige Sicherheit am Bike zurückgibt. Nach zweimaligem Abstieg über den Lenker bin ich nicht mehr ganz so locker am Bike. Aber ich darf abwechselnd hinter den Guides fahren und René gibt mir hilfreiche Tipps. Unsere letzte Abfahrt zum Strand lässt auch mich wieder an Lockerheit gewinnen denn mittlerweile fühlt sich zumindest dieser eine Trail schon fast vertraut an. Unten angekommen schauen wir ein paar Surfern beim Wellenreiten zu. Sie sind in ihrem Element. Wir in unserem. Der Sonnenuntergang naht, das Bier in der Hand und wir Biker sind uns einig: Portugal – definitiv eine Bike-Destination.